25 April 2008

Papa Verdi
oder: Mein erster Don Carlo*

Da hat man hunderte, tausende Stunden von Musik schon in seinem Leben gehört, hat Lieblingslieder und Melodien zuhauf. Hat offen bekundete musikalische Vorlieben wie auch einige verschämte, peinliche. Hat sich "entwickelt", hat entdeckt, verworfen, vergessen, wurde enttäuscht. Und dann entdeckt man eine 141 Jahre alte Melodie, trifft ins Herz als höre man zum ersten Mal überhaupt Musik.
"..s'ancor si piange in cielo, piangi sul mio dolor
E porta il pianto mio al trono del Signor"
[Wenn es noch Tränen gibt im Himmel, wein' um meinen Schmerz und trag' meine Tränen vor den Thron des Herrn]

Noten, als seien sie vom Himmel herabgefallen. Die Melodie ein einziges Seufzen. Und dann nach über drei Stunden (und etlichen dem Werk eigenen Längen) dies in der Schluss-Szene.

Abschied. Leid. Bedauern. Hoffnung auf ein Wiedersehen in "einer besseren Welt".
Selig, als die Melodie am Ende der Arie nocheinmal ertönt und dankbar für Norma Fantinis wunderbaren, kultivierten Sopran. Auch wenn es abgehoben klingt: Für diese Arie allein hätte sich die Eintrittskarte gelohnt. Wer nachhören möchte, hier entdeckt: Konzertante Darbietung von Maria Callas.
Wer nachhören möchte... unerwartet gefunden: Maria Callas mit dieser Arie in konzertanter Aufführung. Vorsicht : der Upload ist relativ laut, aber nach der Einleitung recht guter Klang. Während des Hörens nicht auf die Bilder klicken.


Ein wirklich großer Abend, nicht zuletzt wegen der Spielzeit von rund 3 1/2 Stunden. Und abgesehen davon die bisher verstörendste und doch faszinierendste Szene die mir in meiner noch relativ kurzen Opernerfahrung zuteil wurde:

König Philipp, Gemahlin Elisabeth, Prinz(und Exverlobter Elisabeths)Carlos sowie die Prinzessin Eboli tafeln während der Chor wie in einer Kirche hinter ihnen auf Stühlen postiert ist. Im Vordergrund auf dem Boden der Bühne 5 nackte Angeklagte, die Füße gefesselt an Seilen, die vom Bühnenhimmel herabhängen.
Das Autodafé. Aufruhr, als Gesandte aus Flandern um Frieden bitten, als Carlos seinen Vater konfrontiert. Umsungen davor und danach vom majestätischen Chor und hehrem, fanfarisch aufbrausendem Tutti des Orchesters. Gleichmütig machen sich 5 Schergen wie beiläufig daran, die Todgeweihten zu knebeln und aus Kanistern zu übergießen.

Als die Szene und damit der Akt gipfelt, der unterdrückerische König seine Macht ein weiteres Mal behaupten konnte, der Chor wieder jubiliert, werden die Ketzer heraufgezogen und kurz bevor der Vorhang ganz gefallen ist halten die Schergen symbolische Fackeln an ihre Körper.
Mir der Inszenierung des Ganzen voll bewusst, erstaunte ich wie mein Herz galoppiert.

Soll noch einer behaupten, dass alles hätte in seiner Künstlichkeit uns heute nichts mehr zu sagen.

P.S. das "Papa Verdi" ist ein Zitat aus Rufus Wainwrights Myspace Seite unter "Einflüsse"
P.P.S. *"Don Carlo" ist richtig, auch wenn es ein spanischer König war...da es die meist gespielte italienisch übersetzte Fassung dieses französischen Auftragswerkes von Giuseppe Verdi ist