27 April 2008

haarsträubend

Im Kaisers im Tiefgeschoss steht ein Koffer vor dem Kühlregal.

Ein roter, fast wie ein Kinderkoffer aussehend. Altmodisches Design, Aufkleber. Wer in einem öffentlichen Gebäude, genau gesagt in einem Hauptbahnhof einer deutschen Metropole, arbeitet kann dieses Szenario zu Ende denken. Und sich vorstellen, dass ein Polizist und eine hilfsmäßige Absperrung aus Waschmittelpaketen zu dieser Szene dazu gehören. Der gute Mann ist zusehend genervt, da jeder meint noch relativ nah vorbei Joghurts oder Butter aus dem Regal nehmen zu können. "Ich steh' hier auch nicht zum Spaß!"

Mein Einkauf wird eilig und auf das allernotwendigste beschränkt - und das mit einem sehr seltsamem Gefühl im Nacken. Bilder aus Madrid und London drängen sich auf. Als ich bei der Drogerie gegenüber die Kassenklingel läutet erschrecke ich immer noch. Lautsprecherdurchsagen in der Haupthalle, die nach dem Besitzer fragen. Nach einiger Zeit nicht mehr. Falscher Alarm.

Seitdem ich hier arbeite, seit ca. 3 Monaten also, erlebe ich sowas zum ersten Mal. Die Kollegen hatten bereits im letzten Sommer eine Gebäude-Räumung mitgemacht. Beim Nachdenken verwundert, wie vorhin trotz dessen die meisten Kunden unbeeindruckt auf den Leergut Automaten warteten, Saft suchten, mit dem Handy telefonierten.

Wir sind, so scheint's, ausreichend desensibilisiert.

25 April 2008

Papa Verdi
oder: Mein erster Don Carlo*

Da hat man hunderte, tausende Stunden von Musik schon in seinem Leben gehört, hat Lieblingslieder und Melodien zuhauf. Hat offen bekundete musikalische Vorlieben wie auch einige verschämte, peinliche. Hat sich "entwickelt", hat entdeckt, verworfen, vergessen, wurde enttäuscht. Und dann entdeckt man eine 141 Jahre alte Melodie, trifft ins Herz als höre man zum ersten Mal überhaupt Musik.
"..s'ancor si piange in cielo, piangi sul mio dolor
E porta il pianto mio al trono del Signor"
[Wenn es noch Tränen gibt im Himmel, wein' um meinen Schmerz und trag' meine Tränen vor den Thron des Herrn]

Noten, als seien sie vom Himmel herabgefallen. Die Melodie ein einziges Seufzen. Und dann nach über drei Stunden (und etlichen dem Werk eigenen Längen) dies in der Schluss-Szene.

Abschied. Leid. Bedauern. Hoffnung auf ein Wiedersehen in "einer besseren Welt".
Selig, als die Melodie am Ende der Arie nocheinmal ertönt und dankbar für Norma Fantinis wunderbaren, kultivierten Sopran. Auch wenn es abgehoben klingt: Für diese Arie allein hätte sich die Eintrittskarte gelohnt. Wer nachhören möchte, hier entdeckt: Konzertante Darbietung von Maria Callas.
Wer nachhören möchte... unerwartet gefunden: Maria Callas mit dieser Arie in konzertanter Aufführung. Vorsicht : der Upload ist relativ laut, aber nach der Einleitung recht guter Klang. Während des Hörens nicht auf die Bilder klicken.


Ein wirklich großer Abend, nicht zuletzt wegen der Spielzeit von rund 3 1/2 Stunden. Und abgesehen davon die bisher verstörendste und doch faszinierendste Szene die mir in meiner noch relativ kurzen Opernerfahrung zuteil wurde:

König Philipp, Gemahlin Elisabeth, Prinz(und Exverlobter Elisabeths)Carlos sowie die Prinzessin Eboli tafeln während der Chor wie in einer Kirche hinter ihnen auf Stühlen postiert ist. Im Vordergrund auf dem Boden der Bühne 5 nackte Angeklagte, die Füße gefesselt an Seilen, die vom Bühnenhimmel herabhängen.
Das Autodafé. Aufruhr, als Gesandte aus Flandern um Frieden bitten, als Carlos seinen Vater konfrontiert. Umsungen davor und danach vom majestätischen Chor und hehrem, fanfarisch aufbrausendem Tutti des Orchesters. Gleichmütig machen sich 5 Schergen wie beiläufig daran, die Todgeweihten zu knebeln und aus Kanistern zu übergießen.

Als die Szene und damit der Akt gipfelt, der unterdrückerische König seine Macht ein weiteres Mal behaupten konnte, der Chor wieder jubiliert, werden die Ketzer heraufgezogen und kurz bevor der Vorhang ganz gefallen ist halten die Schergen symbolische Fackeln an ihre Körper.
Mir der Inszenierung des Ganzen voll bewusst, erstaunte ich wie mein Herz galoppiert.

Soll noch einer behaupten, dass alles hätte in seiner Künstlichkeit uns heute nichts mehr zu sagen.

P.S. das "Papa Verdi" ist ein Zitat aus Rufus Wainwrights Myspace Seite unter "Einflüsse"
P.P.S. *"Don Carlo" ist richtig, auch wenn es ein spanischer König war...da es die meist gespielte italienisch übersetzte Fassung dieses französischen Auftragswerkes von Giuseppe Verdi ist

22 April 2008

"...do! your! funky! thing!"


Die Auflösung für diesen Blogtitel, der letztens noch mit dem Freischütz-Eintrag verknüpft war: Die Freude, es endlich mal wieder zu schaffen, die Soul Explosion im Pavillon Friedrichshain zu besuchen. Das Verblüffendste daran: wie ich nach 8 Std. Arbeit und dann einem Improtheater-Auftritt inkl. langwieriger anschließender Feedback Runde dann so gegen halb zwei noch mal total aufdrehte. Über mich selbst erstaunt. Wobei für Uneingeweihte anzumerken ist, dass a) der Titel Funk Explosion angebrachter wäre b) die meisten Nummern dermaßen schweinemäßig grooven, c) das ganze eine relativ eingeschworene Gemeinde ist. Stammpublikum (altersmäßig interessanterweise um die 20), dass von den latent snobistischen DJs (nur Vinyl-Singles, keine Mainstream, kein Motown/Stax, nichts nach 1973. Der gute Stoff..) gehegt, gepflegt und verwöhnt wird.

Etwas besorgt bin ich bloß, wie das im Sommer wieder werden soll. Schon jetzt war es in der zeltartigen Kleinkuppel wieder einigermaßen stickig. Doch wenn die Musik ruft...

P.S.
Schon etwas beunruhigend, wenn die Wohnungstür unter der eigenen Wohnung mit zwei von der Polizei angebrachten Vorhängeschlössern und Fingerabdruck-Pulver versehen ist. Wie mein Nachbar neben mir berichtete, wurde am hellen Tag die Tür eingetreten. Bin einigermaßen froh, dass ich einen zweiten Riegel nebst Außenschloss an der Tür habe.

16 April 2008

Neues vom Hochsitz

"...das ganze schließt freudig" [Carl-Maria von Weber in einem Brief, sein neues Werk beschreibend]

Huch, schon so lange her der letzte Eintrag ?
Komme ja aus der klassischen Musi so gar nicht raus ! Warum auch ? Bis auf das bewährte RadioEins Tagesprogramm läuft hier derzeit nur OperOperOper. Hab ich alle paar Monate bis Jahre mal, solche Auswüchse. Bin jeden Tag erstaunt, wie lange es schon anhält. Die Ohrwürmer sind momentan Arien, Ouvertüren... Auf dem Heimweg die ganze Zeit "schöööner, grüüner..schöner grüner Jungfernkranz" gesummt. War vom Brautjungfernchor aus dem "Freischütz" in der Komischen Oper gerührter als ich erwartete. Hach.

Wenn auch wiederum die Dramaturgie bisweilen etwas hölzern wirkte (Deutsche Eiche sozusagen) : Am Ende verdienter Applaus für alle Hauptrollen, den fabelhaften Chor und ebensolches Orchester. Allein, der Jägerchor ("Was gleicht wohl auf Erden..") wollte scheinbar dem Orchester davon galoppieren. Etwas verwirrend auch die Leistungsschau Drehbühne im zweiten Akt. Bei 4 Umdrehungen nacheinander hab ich zu zählen aufgehört. Vielleicht notwendig, um bei der durch schroffe Bühnenbild-Architektur begrenzten Bühne den Eindruck von Weite zu erzeugen. Genug gemosert. Ein Genuss.

Die Probeschuss-Zeremonie ähnelte -adäquate Brechungen sind ja immer wieder chic- dann in Geste und Kostüm einem neuzeitlichen Schützenfest. Hätte gern eine Ex aus dem alten Heimat-Landkreis angestupst. Doch, ach: fern, so fern.

Nur noch soviel: Beim Betreten der Komischen Oper angesichts von ca. 50 Schülern jenseits der Pubertät leicht zusammen gefahren. Zu Unrecht. Die kamen beim Licht-Aus zwar erst spät zur Ruhe, dafür wurde dann der Begrüßungs-Applaus für Dirigent und Orchester mit "whoohoo" Juchzen garniert. Beim Schlussapplaus sogar noch mit Pfiffen, wohl gemeinte.

Allerletzte Anmerkung: Stichwort Sprachverständlichkeit. Kenntnis des Stückes und der Texte waren heute wieder einmal von deutlichem Vorteil. Frage mich immer wieder woran es liegt: Das Orchester scheint nicht zu laut. Die Sänger zu "leise" ? Zu wenig artikuliert? Ist vielleicht das ganze Konzept "gesungene Texte vs. Orchester" ein wenig konstruiert ?
Werde in der Staatsoper und in der Deutschen Oper nochmals drauf achten, ob es vielleicht an der Akustik liegt.

06 April 2008

Geräusche

Besonders, wenn man in S-und U-Bahn versucht zu lesen, fällt ja doch auf dass die Mobilfunktarife in den letzten eher gesunken sind.

Schon mal darauf geachtet, was für ein überflüssiger Quark da meist geredet wird ? So in der Gewichtsklasse "Wir sind jetzt [..]" / ""Und was hat [...] gesagt? Das hab ich nicht gesagt!" / "Wo bist du gerade?" / "Ey, ich schwöre, und das weißt du" etc. et.al.

Sonst?
*Hör mal wer da hämmert. Am freien Tag mit ausgiebigen und begeistertem Gehämmer geweckt worden. Muss auf dem Fussboden über mir gewesen sein. Flankiert von Bohrhammer und Stemmeisen zwei Häuser weiter, die seit Tagen den Feierabend musikalisch begleiten. (Dafür wird die Fassadenruine wohl endlich in der Nachkriegszeit ankommen... unser Dorf soll schöner werden.) *Neben einigen sehr ...angenehmen Träumen auch einen, aus dem ich sehr erleichtert erwachte: Es drehte sich um (m)einen Zahnarzt (keine Ähnlichkeit mit dem tatsächlichen) und seine, äh, innovativen Implantate. Meinte Zunge tastete nach dem Aufwachen vorsichtshalber vorsichtig herum. Kein Wort mehr. *Die Auftritte von den "Crumbs" und "Loose moose" aus Kanada sehr genossen. Genau so wie ich mir das vorstelle: amüsant, riskant, gut gelaunt und in traumwandlerischer Abstimmung aufeinander. *Workshopliche Unterweisung durch Stephen Nachmanovitch in Sachen Improvisation. Danach dann Umweltgeräuschen (also Hammer und Bohrer... S-Bahn-Gefasel nicht so sehr) wieder etwas aufgeschlossener... Spannend.